Die Schweiz hat eine tief verwurzelte Tradition der humanitären Unterstützung, und insbesondere in der italienischen Schweiz fanden während des Zweiten Weltkriegs rund 85 Prozent der Juden, die dort Zuflucht suchten, auch Asyl. Viele der Ereignisse und Menschen, die im Borgo di Ascona ihre Spuren hinterlassen haben, sind Teil dieser Geschichten von Rettung und neu gefundener Hoffnung.
Lilly Volkart wurde 1897 in Zürich in eine Familie von Freidenkern geboren. Ihr Vater war Lehrer an der Kunstgewerbeschule und ihre Mutter war Blumenhändlerin. Sie konnte wegen fehlender finanzieller Mittel nicht Medizin studieren, zeigte aber schon früh eine starke Begabung dafür, die Schwachen zu betreuen und zu unterstützen. Nach der obligatorischen Schulzeit wurde sie Sekretärin des ersten Kinderheims in Zürich und eröffnete nach dem Tod ihres Vaters in seinem Namen ein Internat für Studenten. 1921 begann sie bei dem Ärzteehepaar Max und Minna Tobler- Christinger als Lehrerin für deren Kinder zu arbeiten. Während eines Sommeraufenthalts mit den Kindern kam sie zum ersten Mal nach Ascona. Ein paar Jahre später, im Jahr 1924, beschloss sie,
sich in Borgo niederzulassen und gründete eine Kinderkolonie in der Casa Cedro, die ursprünglich das Haus von Mia Hesse-Bernoulli, Hermann Hesses erster Frau, war. 1931 erwarb sie die Casa Bianca, die zu ihrem Kinderheim wurde, das zunächst für zwei- bis dreimonatige Aufenthalte, vor allem für Kinder aus Frankreich, gedacht war. 1942 bat die Bundesregierung sie, etwa hundert jüdische Kinder aufzunehmen, die vor den Nazis flohen. Lilly sagte ohne zu zögern zu, auch dank der Unterstützung der örtlichen Bevölkerung und Baron von der Heydt, der ihr ein Haus auf dem Monte Verità, das ihm gehörte, zur Verfügung stellte.
Während des Konflikts nahm sie über 120 Kinder aus ganz Europa auf, viele davon waren jüdischer Herkunft. Trotz ihres angeborenen Mutterinstinkts, ihrer pädagogischen Fähigkeiten und einer seltenen Sensibilität, hatte sie nie Kinder.
Sie starb 1988 in Ascona. Zu ihrer Beerdigung kamen Dutzende von Männern und Frauen aus verschiedenen Teilen der Welt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Sie ist auf diesem Friedhof begraben, und auf ihrem Grabstein ist ein Reigen von Kindern mit der Inschrift "Hallo Lilly und danke" eingraviert.